Heute vor genau 50 Jahren wurde die gleichberechtigte Mitbestimmung an Hochschulen durch das BVerfG gekippt. Doch ist die Auslegung dieses Urteils heutzutage noch zeitgemäß?
In der 68er Bewegung wurde sie erkämpft - die gleichberechtigte Mitbestimmung von Studierenden und Mitarbeitenden in den höchsten Gremien der Hochschulen. Dank der Drittelparität hatten diese eine Zeit lang genau so viel Mitspracherecht in den akademischen Senaten wie Professor*innen. Vor genau 50 Jahren, am 29. Mai 1973, wurde die erstrittene Drittelparität allerdings durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wieder aufgehoben. Studierendenvertreter*innen zweifeln jetzt, ob das 50 Jahre alte Urteil und seine aktuelle Auslegung überhaupt noch angemessen für eine moderne Hochschulpolitik ist.
Drittelparität bzw. Viertelparität bedeutet, dass alle Mitgliedergruppen (Professor*innen, Studierende, Mitarbeitende und gegebenenfalls auch wissenschaftliche Mitarbeitende) in den beschlussfassenden Gremien der Hochschulen ausgewogene Stimmenanteile haben. In der Urteilsbegründung von 1973 hielten die Richter*innen die Wissenschaftsfreiheit nach § 5 Grundgesetz dagegen. Diese erschiehn ihnen in Gefahr, wenn Professor*innen nicht mehr alleinig Fragen der Lehre oder Berufungsangelegenheiten entscheiden konnten. "Die aktuelle Auslegung dieses Urteils gehört dringend überdacht. Die meisten Entscheidungen, welche in den Senaten der Hochschulen getroffen werden, greifen nicht in die Freiheit von Lehre und Forschung ein. Außerdem ist das Urteil schlichtweg aus der Zeit gefallen. Autonomie und Selbstverwaltung sind an den Hochschulen mittlerweile viel stärker als noch vor einem halben Jahrhundert erforderlich. Die gleichberechtigte Mitsprache aller Mitgliedergruppen ist heute umso notwendiger. Wir sollten uns schließlich auch vor Augen halten, was 50 Jahre für die Aktualität wissenschaftlicher Erkenntnisse und auch für die einer Rechtsprechung bedeuten.", erläutert Sabine Giese, langjährige Studierendenvertreterin. Damalige Kritiker*innen bezweifelten bereits, inwieweit das Bundesverfassungsgericht die getroffene Auslegung überhaupt aus dem Grundgesetz lesen konnte und ob der Gesetzgeber an dieser Stelle nicht zu weit eingeschränkt wurde.
Studierendenvertreter*innen propagieren bereits seit mehreren Jahren, dass insbesondere die Mitbestimmung der Studierenden an Hochschulen zu wünschen übrigließe. Ludwig Firkert, Sprecher der sächsischen Studierendenvertretung "Ein 50 Jahre altes Urteil wird immer wieder dafür genutzt, zu erklären, dass mehr Mitsprache vermeintlich rechtlich nicht ginge. Das ist doch eigentlich nur eine billige Ausrede, damit Professor*innen ihre Macht an Hochschulen nicht teilen müssen." Das sächsische Hochschulgesetz wird aktuell novelliert, die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden wurden dabei nicht erweitert. Anders in Thüringen, hier beispielsweise sind viertelparitätische Entscheidungen im Hochschulgesetz verankert. Eine aktuelle, aber bisher unvollständige Übersicht zu den Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Bundesländern Studierender hat der fzs kürzlich auf seiner Webseite veröffentlicht: www.fzs.de/2023/05/29/der-muff-eines-aus-der-zeit-gefallenen-urteils/
Dass die fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten oft zu handfesten Problemen in der Hochschulpolitik führen, zeigen wiederholt Erfahrungsberichte Studierender. Rahel Schüssler, Vorstandsmitglied des fzs, ergänzt abschließend: "Damals sprach die 68er Bewegung vom Muff von 1000 Jahren unter den Talaren. In der aktuellen Auslegung des Urteils von 1973 liegt mittlerweile der Muff eines halben Jahrhunderts. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Druck oder die Probleme zu groß werden und Studierende und Mitarbeitende endlich mehr Mitspracherecht an den Hochschulen erhalten. Wir sind der Meinung: Heute würde anders entschieden werden. Wir fordern mehr Mitbestimmung und eine Neuauslegung des veralteten Urteils!"